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Genetische Beeinträchtigungen durch Saat- und Pflanzgut fremder Herkunft

(Stand 31.10.2004)

sogenannter "Heudrusch" aus Magerwiese

Durch Ausdreschen von Magerwiesen-Heu gewonnenes samen-reiches Konzentrat - eine ideale Alternative zu Ansaatmischungen >

Der Begriff „Artenschutz“ ist missverständlich, suggeriert er doch, es gehe bei ihm lediglich darum, den Artenbestand zu bewahren. Tatsächlich aber sollen die differenzierten genetischen Linien gesichert werden, die traditionell die Pflanzen-Individuen eines Gebietes stellen und erst in ihrer Gesamtheit die Art dort repräsentieren – oder anders ausgedrückt: Es geht um den Bestand an autochthonen Pflanzen und damit das landschaftseigene genetische Inventar mit all seinen Besonderheiten. Mit dem Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt von Rio de Janeiro ist diese Bewahrung der „infraspezifischen genetischen Vielfalt“ zu einem wichtigen internationalen Naturschutzziel geworden.

Die größte Gefahr für die genetische Vielfalt besteht selbstverständlich im Schrumpfen der Populationen, dem Verlust von Vorkommen und letztlich der Fragmentierung der Verbreitungsgebiete. Was liegt da näher, als Arten wieder anzusiedeln und die Restpopulationen zu ergänzen! Doch vorsicht: Wenig bekannt, aber in den letzten hundert Jahren zu einem ernsten Problem geworden, ist das in immer größerem Umfang erfolgende Ausbringen von Fremd- und Kulturherkünften an sich heimischer Arten.
Solche Fremdherkünfte können allenfalls nach einer langen Zeit der Einbürgerung zum Schutzgegenstand werden, aber auch dann nur mit einem geringen Schutzerfordernis. Insofern kann für das Erlöschen gebietseigener Vorkommen durch die Wiederansiedlung von gebietsfremdem Material derselben Art kein Ersatz geleistet werden. – Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass "Ansalbungen" das heißt die gezielten Ansiedlung von Sippen außerhalb ihres rezenten Areals, durch das Naturschutzrecht als Florenverfälschung untersagt sind.
Was aber schwerer wiegt: Die bei oberflächlicher Betrachtung vermeintliche Bereicherung des landschaftstypischen genetischen Inventars hierdurch bzw. die Annahme einer Erhöhung der genetischen Plastizität entpuppt sich in der Regel als Eingriff in die genetische Ausstattung - ein Eingriff, der die vorhandene Angepasstheit und damit Spezialisiertheit gefährdet und tendenziell dem Zurücksetzen auf eine primitivere Stufe der Evolution gleichkommt. Dies gilt besonders dann, wenn bei einheimischen Arten ein Überangebot an fertilen Fremdherkünften ("allochthones Material") oder züchterisch bearbeiteten Sorten ins Gelände ausgebracht wird. - Weitere Informationen zum Thema bietet ein eigener Abschnitt dieser Website.
Von fortgeschrittener genetischer Verfremdung betroffen sind vor allem Futterpflanzen des Grünlands (z. B. Rot- und Weißklee, Knaulgras, Glatthafer), Arten zur Begrünung von Straßenbegleitflächen, von Böschungen und Anlagen (z. B. Rot- und Schafschwingel, Hornklee) sowie Sträucher (Heckenpflanzungen – Maßnahmen von Flurbereinigung, Straßenbau und Naturschutz) und Bäume (z. B. Fichte, Kiefer, Traubeneiche - forstliche Kulturen). Es wäre falsch, aus der Häufigkeit der Arten abzuleiten, dass keine Gefährdung vorliegt: Durch Fremdherkünfte oder Kultursorten kann die autochthone Population verdrängt werden. Die Tabelle gibt einen Überblick der Arten, die davon schwerpunktmäßig – wenngleich unterschiedlich stark – tangiert erscheinen und somit in der Rote Liste Niederbayern Gefährdungsgrad (V) erhielten. Bei ihnen ist es vorrangig, autochthones Saat- und Pflanzgut zu erzeugen und zu verwenden oder auf spezielle Begrünungsverfahren auszuweichen. Bei einer Reihe von Gräsern und Schmetterlings-Blütlern, die zugleich wichtige Futterpflanzen sind, wird dies leider erschwert: Ein mit seinen rigorosen Bestimmungen nicht mehr zeitgemäßes Saatgut-Verkehrsgesetz schreibt vor, dass nur mit zugelassenen Zuchtsorten gehandelt werden darf. Weniger problematisch ist das Gésetz über forstliches Vermehrungsgut, dass für die Verwendung von wirtschatlich bedeutenden Baumarten die Verwendung bestimmter Herkünfte vorschreibt.

Durch das Ausbringen von Kultursorten und Fremdherkünfte besonders bedrohte Arten

Acer campestre Feldahorn Lolium perenne Weidelgras
Acer platanoides Spitzahorn Lotus corniculatus Hornklee
Acer pseudoplatanus Bergahorn Phleum pratense Wiesen-Lieschgras
Agrostis capillaris Rotes Straußgras Picea abies Fichte
Anthyllis vulneraria Wundklee Poa pratensis Wiesen-Rispengras
Arrhenatherum elatius Glatthafer Poa trivialis Gewöhnliches Rispengras
Corylus avellana Hasel Populus nigra Schwarzpappel
Crataegus monogyna Eingriffliger Weißdorn Prunus spinosa Schlehe
Dactylis glomerata Knaulgras Quercus petraea Traubeneiche
Festuca arundinacea Rohrschwingel Salix viminalis Korbweide
Festuca ovina agg. Schafschwingel Sorbus aria agg. Mehlbeere
Festuca rubra agg. Rotschwingel Tilia platyphyllos Sommerlinde
Hedera helix Efeu Trifolium pratense Rotklee
Hippophae rhamnoides Sanddorn Trifolium repens Kriechklee, Weißklee

vor wenigen Jahren mit Mähgut begründeter Magerrasen bei Rosenau, Landkreis Dingolfing-Landau

Von den verbreiteten Gehölzen werden in Bayern autochthone Pflanzen angeboten (besonders von der (Erzeugergemeinschaft für Autochthone Baumschulerzeugnisse in Bayern). Im Offenland hat es sich als Alternative zur Ansaatmischung hervorragend bewährt, im nähern Umfeld (möglichst in der selben Gemeinde) "Lieferbiotope" auszuwählen, deren Artenzusammensetzung dem Zielzustand der zu begrünenden Fläche entspricht. Die Lieferflächen werden gemäht, wenn die Mehrzahl der Arten Samen ausgebildet hat. Das Schnittgut kann dann unmittelbar auf die vorbereitete Empfängerfläche aufgebracht werden. Eleganter ist es, das Schnittgut zu dreschen. Bei diesem sogenannten "Heudrusch" bietet sich auch die Möglichkeit, Material von verschiedenen Schnittzeitpunkten zu mischen. Spezialisiert auf dieses Verfahren ist die niederbayerische Firma Joe Engelhardt. Gute Ergebnisse wurde auch mit herausgerechtem Moosfilz erzielt, da er viele herab gefallene Samen enthält. Zielarten, deren Übertragung so nicht geglückt ist, können ergänzt werden, indem Samen örtlicher Wildvorkommen auf Nacktbodenstellen ausgebracht oder "Initialpflanzungen" mit Hilfe von nachgezogenen Pflanzen autochthoner Abstammung vorgenommen werden.